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Adriana Torres Topaga „In Häute schlüpfen“

    Verfasser: Wolfgang Reiter

     


    Galerie FORUM Wels, November 2015


    Haut macht uns sichtbar.

    Unsere Haut macht sichtbar, wie sehr wir uns fremder Häute bedienen, uns einhäuten. Hält die Haut dicht? Ist sie atmungsaktiv? Bietet sie genügend Schutz / Sichtschutz? Hautangebote fallen uns zu. Das Geschäft mit Haut blüht. Sich diesbezüglich in Form zu bringen, bedeutet auch Farbe zu bekennen.

    Die Haut zeichnet uns aus. Sie macht Spuren sichtbar, die wir zu zeigen uns oft nicht zugestehen. Und manchmal glauben wir sogar, mit unserem Hautgefühl an der Grenze der Belastbarkeit zu sein. Uns Nicht-Insekten / Nicht-Reptilien steht Häutung zwar nicht zu, doch am Aus-der-Haut-fahren kann niemand von uns gehindert werden. Mag sein, dass die mangelnde Schutzhaut, die Dünnhäutigkeit Grund dafür ist, sich der eigenen Haut entledigen zu wollen / zu müssen, oder besser den Versuch darstellt, die zu enge Bandage an eigener Stelle am Ort des Austritts zu hinterlassen. Aufzufahren.

    „Körpereinstellungen abstreifen“, so Adriana Torres Topaga, „den Raum ausfahren für Unerhörtes.“

    Sooft der Mensch aus einer Haut fährt, schlüpft er in eine solche - einhäuten, aushäuten, einhäuten, aushäuten - unter Geburtswehen oftmals. Das ist unser Schicksal. Dass wir an einer Haut kleben, solange wir an ihr festhalten.

    Und wohin fahre ich auf, aus einer zu eng gewordenen, fremd gewordenen Haut? In die Freiheit des Öffentlichen, wo ich ohne Haut als schutzlos erkannt bin und im Nu in eine neue fremde Haut schlüpfe - freiwillig, erzwungenermaßen? Identitätskrise, ein Fremd-Wort. Oder stülpe ich mir gar eine situationselastische Haut über.

    Irgendwann ist jede Haut verletzbar.

    Solange häutet sich der Mensch, bis schlussendlich alles / all das Andere in ihn eindringt. Der Raum unserer Erkenntnis wird frei. Die letzten Hautschuppen werden weggesaugt.

    Im Grenzbereich zwischen privat und öffentlich, dem sensibelsten Bereich des menschlichen Lebens, arbeitet sich die Künstlerin Adriana Torres Topaga konsequent in das Innerste des modernen Menschen vor, um dem Äußersten entgegenzutreten. Einer Haut. Meiner Haut. Deiner Haut.

    Meine Haut berührt mich. Meine Haut berührt mich nicht. Die andere Haut berührt mich. Die andere Haut berührt mich nicht. Häute im Dialog?

    Häute machen Menschen sichtbar. Auch hier und jetzt erkennen wir uns als vor Kurzem Aus-der-Haut-gefahrene oder in Kürze Aus-der-Haut-fahrende. Gibt es darüber hinaus das Bedürfnis nach Übereinkunft - in / auf einer inneren, einer äußeren Haut? Existiert Sehnsucht nach einem gemeinsamen Haus, einem Raum der Bewegung und Bewegtheit in und aus uns? Vielleicht nach einem interaktiven Kleid, aus dem zu fahren uns nicht mehr ist.

    Wolfgang Maria Reiter, 2015